2025
komm
schattentauchen
komm
luftknospen
kosten!
*
dich
am abend
anlehnen
dich in den sommerabend
hinein schmiegen
der so schmerzschön ist
dass dein herz weit wird
dass die einsamkeit
sich drin ausbreiten kann
und vielleicht
eines tages
flügel bekommt
*
licht
verflossene sommer glitzern
in alter wunder dunkelheit
warmer glanz
lockt die goldgräberin
doch die quelle
bleibt ihr verborgen
flackert flacher
je mehr sie sucht
verstellt von geröll
scharfkantigen rostigen
uralten ineinander verkeilten
verkohlten teilen von schrott
bombensplittern
eines vergangenen kriegs
verhärten sich fronten
die goldgräberin
gerät in die schatten
in die sie hinein greift
dran zieht und zerrt
obwohl sie ihr nicht gehören
besessen ist sie vom licht, geblendet
vergisst sich selbst, vergisst zu atmen
will gewaltvoll beseitigen
was dieses wunder verbirgt
doch das ist nicht ihre aufgabe.
es ist die aufgabe des besitzers des lichts.
an den scharfkantigen rostigen
uralten ineinander verkeilten
verkohlten teilen von schrott
den bombensplittern
eines vergangenen kriegs
verletzt sie sich ebenso tief
wie das licht sie berührte
um zu überleben
muss sie gehen
die erinnerung ans licht
schneidet sie sich aus dem herzen
schlägt sie sich aus dem körper
in schmerzvollem tanz
und es leuchtet in ihrem herzen
es leuchtet heller denn je
*
versuchstier
(the artist is not present)
ich bin die rückseite
ich bin die unterseite
ich bin die zarte blutige innenseite
ich bin das gegenteil von etwas
mich gibt es umsonst
ich bin eine projektionsfläche
ich bin eine offene wunde
ich bin deine leerstelle
ich habe ein loch
du kannst mich spalten
du kannst mich zwischennutzen
du kannst mich mal
mit deinen persönlichkeitszuständen ausfüllen
ich sage es niemandem denn
ich bin das was nicht geschieht
ich bin dahinter
ich bin darunter
ich bin daneben
neben der spur
ich bin eine höhle
ich bin ein zuhause
ich habe kein zuhause
ich sehe dich von innen
ich bin da wo niemand ist
da sitze ich und esse das zitroneneis
das du nie für mich gekauft hast.
*
imaginärer freund
verlorener kindheit
gross bist du!
meine leuchtaugen
stechen dich
aus deinem kontext
ich nagle dich
nah am herzrand
meiner verwilderten träume
jage dich
durch alle filter
deiner fallenden
identitäten
wachsender einsamkeit
*
als hätte sie
schon als kind
ein seil ausgeworfen
damit jemand
am anderen ende halte
damit sie spüren könnte
auf welchem
ihrem ende des seiles
sie stünde
wo ihr ich-ort wäre
ihr seil flog ins leere
ihr seil flog ins leere
ihr seil flog ins leere
dann dachte sie sich
dich, der ihr partner sein sollte
der ihr seil halten könnte
halt aus
du gehorchtest
gehorchtest ihr
und sie war sicher
aber nicht
an ihrem ich-ort
und sie entriss
dir das seil
sie gab es einem
der ihr seil
fester hielt
als je jemand zuvor
der hatte selbst
gar kein seil
frass sie
und ihr seil
einfach auf
sie war nackt und allein
sie flocht ein neues seil
sie hält jetzt
beide enden
selber fest
gibt das seil
nicht aus der hand
bis sie sicher ist
an ihrem ich-ort
falls es diesen gibt
*
in inne gehaltener zeit
innen gehalten sein
den raum lieben
der zwischen uns entsteht
weil wir grenzen wahren
die energie lieben
die sich bewegt
in diesem raum
der frei ist
und belebt
durch unsere verbindung
weil wir den raum
offen halten
unterschiedlich zu sein
*
unsere
körper
kommen
näher
nackter
da löst sich
.
.
.
ein teil selbst
.
.
.
.
.
weht
.
.
.
.
.
.
.
einfach
.
.
.
.
.
.
.
.
.
davon
*
die fremde
ihre tiefgefrorenen
gefühle fühlen
wie die eigenen
ihr herz weich
werden sehen
sie lieben
gewaltvoll
verstossen werden
von ihrer angst
damit nie wieder jemand
in ihr herz sieht
*
lauwarmes träges
schlammgrünes
sommerteichsalzwasser
das schwappt
mitten im längsten winter der welt
gegen alle körper-innengrenzen
braucht sämtliche energie, es zu halten
der versuch
mit normalen menschen
normale gespräche
an normalen orten zu führen
scheitert
das uralte sommerteichsalzwasserschwappen
übertönt alles
*
unsere fühlenden wesen
spiegeln fülle an erfahrung
auch digitale, körper lose
doch sind wir vielsinnliche körper
im spiel der wahrnehmung
ohne verfremdung
steht uns so viel zur verfügung
um präsent zu leben
wovon lenken wir uns ab?
2024
deine umarmung ist dunkel
verwunschener wald
du riechst nach dem regen
der fallen wird
*
verwesungsfantasie
als hätte der geruch
nach mir gegriffen
mich am arm festgehalten
fest
wehrlos bin ich und atme den
feucht erdigen luftkörper der sich
um den verwesenden holz
körper
schmiegt der an mir zieht saugt
dunkle höhlen bildet
tief
in denen ich mich auflösen will
leicht
eine verlassene webe
ein leeres schneckenhaus
meine schatten
frei
*
todesspirale
(relaxed performance)
hey boyfriend*
es gibt
gar keinen ausweg
so lass uns lieber
hand in hand
spazieren gehen
schauen
was da ist
das menschengemacht
zugrunde geht
damit entsteht
was wir noch nicht wissen
*
engel
er himmelt nicht sie an
er himmelt das bild an
das er sich macht von ihr denn
die innere leerstelle
die er mit seinen träumen füllt
den vollen schmerz
kann er nicht tragen
er trägt ihn aus schicht um schicht
durch die archäologie seiner seele
die botschaften seiner träume
und vielleicht
sieht er sie dann
*
beknallt allein
komm lass uns freunde sein
und randstand überschlag
bedampft versprüht beschallt
ohne wald
am brachen feld
am rand der welt
nachts neben der
verlassenen mühle von bolligen
deren alte zeit
sie verwandelt so
verwandeln verwundern
verwunden wir uns
wir reisenden im nichtwissen
über liebe
*
um ihm nah zu sein
stellt sie sich
in den schatten
sie umhüllt ihn
mit einem zauber
damit sie nicht sieht
wer er ist
damit sie nicht sieht
wer sie ist
seit da wieder licht ist
ohne ihn
kann sie sich selbst
nah sein
doch da ist niemand
*
während ihre kinder spielen
verstreicht
ihre lebenszeit
2023
ich bin die
kapitalismusbefreite
konsumentin meiner träume
ich lese
in allen tassen
im schrank der coffeekette
eine andere zukunft
*
wenn ich lust habe
bei regen
am waldboden zu sitzen
hört doch auf mich
besorgt anzuschauen
lasst doch selber
eure gefühle zu
wir sehen uns
als waldboden wieder
*
einen teil natur
wild lassen
so einen land
abschnitt
einen teil selbst
wild lassen
einen teil ich
und wie kann der sein
der teil mensch
der teil wesen
wie wild?
*
elternratssitzung
die stille auf dem heimweg
bedeutet mir so viel mehr
als alles was gesprochen wurde.
*
plötzlich zu zweit
wir sprechen nicht
was sollten wir auch sagen
es gibt nur noch
bewegung unserer körper
die einander nie berühren
den ball
das sonnenlicht
das atmen
ich falle in den himmel
und mein herz
durch den basketballkorb
*
das kind
es hat grosse blaue augen
ohne leuchten
schau mir zu
sagt das kind
sei da
sagt das kind
das kind will die sozialpädagogin umarmen
die sozialpädagogin sagt huch
die sozialpädagogin sagt stop
ich schaue dem kind beim schaukeln zu
ich bin da
sage ich
das kind sagt
ich vermisse meine mama
aber jetzt bist du ja da
du bist bestimmt eine gute mama
das kind schaut weg
in der winternacht
steht es im schlafanzug
am bahnhof
dann ist das kind
nicht mehr da
2022
der baum
er überlässt sich dem wind
bewegt sich sacht
meinem atem zugewendet
spüre ich sein sanftes wiegen
der wind im baum
der atem in meinem körper
dieselbe bewegung
*
nordsee
da sind pfähle
die das ufer
befestigen
da ist wasser
das kommt
da ist wasser
das geht
in ganzer mondkraft
satt dunkelgrün
es wiegt
treibt gut
tang, unrat
es wirft
dunkle blasen
und die pfähle
halten sie stand?
*
du gibst alles
mich zu tragen
da falle ich
woanders hin
*
alte elterntiere
durch die verschlossene glastür
sieht sie ihren vater
auch ihre mutter
steht regungslos da
ihre gesichter sind weich
die haare weiss
ihre augen gucken gross
und stumm
er nestelt am türschloss
er verheddert sich im vorhang
er fällt wie in zeitlupe
sinkt
noch halb nackt
in den eigenen koffer
sie greift seinen arm
er hängt, kommt nicht hoch
dann doch
sie gucken stumm
durch die verschlossene glastür
ihres gästeterrariums
2021
und dann ein bad
im klang
im duft
im licht
und die sommerabendstadt klingt
und die sommerabendstadt duftet
und die sommerabendstadt leuchtet
wie als ich ein kind war
*
inmitten motorisierten verkehrs
sitzt auf nacktem asphalt
ein lesendes mädchen
unterm asphalt
lebendige welten
unter konzepten
bewegliches dasein
das lesende mädchen
auf dem nackten asphalt
sitzt in jedem
einzelnen auto
*
sonntagsausflug
an nackte felswände
schlägt ohrenbetäubend
die dampfmaschine
das sich vertiefende dunkel
brennt heisser auf der haut
vergänglicher körper
kinderweinen
in der fritteuse gestillt
mit ketchup
*
alte menschen
schleichen um alte häuser
in alten dörfern
am ende des sommers
ihre häuser sind warm
ihre häuser sind gross
ihre häuser sind kalt
der ofen ist alt
im flur ist es dunkel
das bier ist warm
die äpfel faulen im keller
im fernsehen geschieht abends
um acht uhr fünfzehn immer das selbe
komm wir schliessen die tür
*
die stadt der kindheit
verwelkt.
ruhig atme ich weiter.
*
am ort selbst
kein zug
wo anders hin
nicht vor
nicht zurück
irgendwo
zwischen geburt und tod
einfach bleiben
*
familienurlaub
südlich der hauptstadt
überläuft im strömenden regen
der grüne see
unterspülte ufer brechen
gemeinsam zählen wir
im ersten sonnenstrahl
die eidechsen
*
bürstadt city
als wär das meer
ganz nah
zugdurchfahrt
ungeachtet der eckkneipe
getränkte gemüter
deren einer taumelnd
die papierserviette vom boden ergreift
sie in den mülleimer presst
mit dem er spricht
*
supermarktmoment
glitzerlackiert und hellblondiert
legst du mir
mit ganzer aufmerksamkeit
und einem hauch synthetischer vanille
vier nektarinen
sorgfältig in meine hände
wir haben uns ja gar nicht
desinfiziert
*
samen
harsch durchbricht das reissen
das schweigen der bäume
am geöffnet hohlen hals
tritt dicke milch aus
kaum mehr spürbar
die zuvor beobachtete zartheit
zusammengedrückt
sitzen sie jetzt
im immergleichen haar
der monokultur des nachbarfelds
wo menschen dasein, wachsen
nicht geschehen lassen wollen
das wunder das immer schon da ist
ohne jegliches zutun
2020
mutterboden
in einer hand voll leben
mehr lebewesen
als menschen auf dem planeten
*
nutzgärten im winter (covid 19)
vereinzelt alte menschen
gebückt nach erfrorenem kohl
an der hütte die fahne ferner heimat
schrei eines raben
vergessen ruht
der gute lederschuh aus anderer zeit
in nachbarschaft eines fahrradschlosses
und übriger hagebutten
tropfen um tropfen vergeht schnee
unter einer glocke
harrt die stadt aus
wartet
*
am grund
bodenlos
abgesunken
schliesslich
gegründet
tiefseewasserpflanze sein
alles andere ist ferne brandung
*
stadtlicht
weiß gleißen am morgen
strahlen der autoscheinwerfer
die das tempo der fahrenden schatten bestimmen
auf regennassem asphalt
zur arbeit!
wenn die menschen vorbeigefahren sind
liegt das laub ruhig
stirbt im glanz der straßenlaternen
liegt da in der letzten nässe der nacht
verleiht dem versiegelten boden
ein wenig leben
*
ausbeuterischer geschäftigkeit
im weg sitzen
dem gegeneinander reden
entgegen
schweigen
*
die jaguarin
über glut gelaufen
dein augenlicht verloren
deine kinder nicht wiedergefunden
im feuer
dein land brennt
menschen legen brände
legen dich
auf einen tisch
kämpfen um dein leben
verlieren
schließlich
alles
*
versiegelte böden
weil das so schön ordentlich aussieht
versiegelte böden
dann ist alles unter kontrolle
versiegelte böden
weil das so toll ist mit fahrzeugen
doch das spiel der fliegenden blätter
wird niemals enden
denn eines tages werden wir gegangen sein
und die wurzeln brechen die straße auf
*
schutzschild meinem kind
«augen zu und durch
gib niemals auf
kämpfe»
ich bremse ab.
biege in ein ruhiges quartier ein
höre durch den klang der stadt
die vögel singen.
*
hauptstadtstille
alte steine
drachengestalten
novemberkastanien
moose und luftzug
kommende kälte
verhallende stimmen
und schritte von weitem
es laufen:
(konzentriert auf ihr äußeres bild)
die arbeitsamen menschen
vorbei
*
lungenflügel
lungenflügel
heben sich
senken sich
tragen dich
fliege
es ist alles da
2019
2018
2017
2016
2015
2014
2013
2012
2011
2010
2009
2008
vögel hören
dunkelgrün
satt und schwer
beschützen die flügel
der mächtigen alten bäume
im lichtspiel
der sonnenstrahlen
die kleinen
unsichtbaren engel
steinfiguren
ein junges ruhiges gesicht
geprägt von der zeit
ganz lebendig am grab
menschen behütet
nach dem leben
was bedeutet die zeit
die lebendigen
gehen langsam
bei sich
respektvoll
das geräusch ihrer schritte im kies
hier ruhen -
dagegen erblasst der tag
gegenüber der ewigkeit
besteht nur der moment
*
schnee regnet
schwere tropfen
in den nasskalten nadelwald
die fallen klamm
ein ruppiger, wilder frühling
stürzt sich lachend
auf uns herab
nadelstiche
in frierende gesichter
haltet die bäume fest!
*
straßenlaternenlicht
mattgolden
beruhigend
zum glück
platzen regentröpfchen
auf müdem asphalt
regentröpfchen
regenköpfchen
regentierchen
klopfen
an mein herzchen
*
fingerspitz
klopft regen an
das glas meiner nerven
nasskalt
erlischt mich
keine zeit
leeren herzens
winterschlafe ich ein
*
der wald war lichtgrün
die sonnenstrahlen
haben das laub geteilt
der dampf ist aufgestiegen
aus allem lebendigen
wir waren barfuss
der frühling rostet vor sich hin
jede wird mal alt
*
sanft bewegen sich
stille steine wiegen sich
aneinander reiben sich
fügen sich ein
in inne gehaltene zeit
windstill, gut
wenn ich in deinem schoß
liege mit der sonne im gesicht
schweigt der see dazu
da tasten nach uns
trauerweiden-spinnenarme
der himmel schreit
blau
*
kleiner weisser affe
körper gefüllt
mit weisser farbe
fußzehen welkes laub
*
zum fenster rein
schaut ein kleines
stiefmütterchen
es friert ein bisschen in der abendsonne
es ist angebunden
damit es nicht herunterfällt.
*
ruhig und wohl dagelegen
tief und still
brachen sonnenstrahlen
das wasser
der tag verging
angenehm teilnahmslos
2007
mein körperklang flattert
flattert nach dir
will sich
niederlassen können
komm her,
komm her lass mich frei
wenn das licht deiner augen
in meine fällt
entstehen neue sterne am himmel
*
lauwarm
salziges meerwasser
steigt auf
möbel
schmilzen weg
werden schlamm
der geruch süsser gewürze
verläuft sich in den kissen
*
alte luft blubbert durch den ganzen
körper es knistert im hals zu lange
fußzehennägel ertasten lose
fußsohlenhornhaut füße immer in
bewegung bleiben alte luft irgendwo in
der luftröhre auf dem weg raus bleibt
stecken alte luft besonders im
bauchraum alte luft
jetzt verwesen
den himmel liegend fahren sehen
*
märchenprinzessin sein
der geschichte lauschend im schatten
ihre kleinen hände an mir
schauen fassend meine kleider
finden den ring, die federn, die schlange
die mir am hals liegt.
*
keine*r von uns beiden ist das – es passiert uns
und wir haben vier füße
zwei zungen viele zähne und zwei paar lippen!
ich bin ein baby
in deiner achselhöhle
mit geschlossenen augen
dem mund sprachlos
die geborgene entdeckung lassend
tigere am morgen seule
und still durch dein heim
weißer wände
neuer möbel
brauchst nicht viel
zum wohnen
schwer zu findende zärtlichkeit
eines winzigen erhängten comics
herbst!
geh nicht vorbei ohne dass ich’s merke!
alles ist so groß ich weiß
renne offenen herzens
durch zäune
falle in abgründe
fetze seelen
bewege mich immer am Rand des Andern
*
dort entstanden dann
ausgeworfen aus
dem beckenraum hervor heraus
durch stimmlippen
mundlippen
ruckweise schmerztönchen
eine einzelne träne
kauert sich
wie ein schlafendes kind
in meinen augenwinkel
*
der kastanienbaum und ich
getrennt durch eine fensterscheibe
jede allein
er und die abendsonne
ich und das abendbrot
stille
der kastanienbaum und ich
zusammen allein
2006
2005
2004
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2002
2001
2000
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1998
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1996
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1993
1992
1991
1990
1989
1988
1987
1986
1985
auf innenweltraumreise
es war einmal eine frau, die konnte so wild träumen dass die farben ihrer lebensrealiät daneben verblassten. eines tages wurde der sog in ihre traumwelt so stark dass sie nicht mehr essen, nicht mehr schlafen und sich um ihre kinder nicht mehr kümmern konnte. sie wurde sterbenskrank. da riefen ihre kinder laut nach ihr. sie legte sich neben ihren kindern ins bett und schlief sieben tage lang. als sie erwachte, wusste sie, dass sowohl die traumwelt, als auch ihre reale welt teil ihrer vollständigen erfahrung waren. und sie lernte zu balancieren, in beiden welten präsent zu sein. in ihren texten übersetzte sie ihre traumwelt für alle geliebten wesen ihrer realen welt. und wenn sie nicht gestorben ist dann schreibt sie noch heute.
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
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2023
2024
2025
schattenwelttiere
(in arbeit)
was wäre, wenn du in der mitte deines lebens aufwachen würdest,
und bemerken würdest, dass alles nur ein traum war?
Am Erntedankfest steht das Kind im gebügelten Sonntagskleid neben dem Altar in der Vaterkirche. Es hält noch den Kürbis in den Händen, den es zu den anderen Gaben hätte legen sollen. Ein tiefstimmiges Gelächter rollt durch die Bankreihen, das Kind ist ja so süss verträumt. Da sieht das Kind zum ersten Mal den Schatten, der zwischen ihm und der Welt steht.
In der Küche ist es dunkel. Der Grossvater entwickelt die Fotographien, die er vom Kind gemacht hat. Es hat weiche, rote Locken, rote Lippen, glänzende Augen. Still soll es sein! Das Kind soll mit seiner Anwesenheit nicht stören. Es soll keine Fragen stellen, damit die Bilder auf dem eingelegten Fotopapier erscheinen können. Als wäre ihre Stimme ein Lichtschein der in die abgedunkelte Küche fällt. Als könnten die Fragen des Kindes das Bild stören, das sich der Grossvater von ihm macht, ein Bild, dem es gefälligst zu entsprechen hat.
Es ist heiss. Trotzdem trägt der Grossvater Schicht um Schicht gestrickter Wolle in Brauntönen. Damit er nie wieder friert, wie damals, in Stalingrad. Das Kind trägt kurze Hosen. Es soll sich auf den Küchentisch setzen, mit nackten Knien. Die Uhr tickt. Das Kind soll keinen Mucks machen, sich nicht bewegen. Da ist ein Splitter in ihrer Haut, der fachmännisch entfernt werden muss.
Der Schatten wohnt im Haus der Grosseltern. Der Schatten wohnt in der Vaterkirche. Der Schatten wohnt in den Gängen der Schule des Kindes und in den Seelen mancher Menschen, denen sie begegnet. Der Schatten zieht den Vater in die Tiefe wenn er auf einen Turm steigt. Darum steigt der Vater nicht auf Türme. Der Schatten wohnt in den Ferienhäusern, in denen die Familie ihre Sommer verbrachte. Die Mutter putzte überall, aber der Schatten blieb. Der Vater schaute weg, aber der Schatten blieb. Der Mutter raubte der Schatten ihren Schlaf.
Der Schatten hat keinen Namen. Er ist dicht, dunkel und stark. Wenn sich seine Energie sammelt, entsteht ein Sog, der alles anzieht was in seine Nähe kommt. Das Kind kann dem Schatten nicht widerstehen, er hat Zentralkraft, sie wird wie Wasser.
Der Schatten liegt auf ihrem Herzen, und wenn sie liebt, dann wird sie selbst zum Schatten. Sie zieht dann eine Lederjacke an, raucht eine Zigarette und schmiegt sich nachts an eine raue Mauer. Sie schaut in den Himmel und wird selbst zum Himmel. Sie schaut in den Wald und wird selbst zum Wald. Sie sucht Halt.
Der Fuchs
Die nackte Steintreppe ist eiskalt. Die Schule ist verlassen. Die dunklen Flure sind leer und alle Geräusche des Tages sind verhallt. Zwei Kinder können sich nicht voneinander lösen, etwas umhüllt sie. Etwas hält sie so nah beieinander, dass sie nicht wissen, wo der Körper des einen aufhört und wo der Körper der anderen beginnt. Sie versuchen, sich fortzubewegen. Gemeinsam können sie gehen, aber die Richtung ist unklar. Etwas zieht sie zu den Bäumen.
Es ist Herbst. Der Wald rauscht. Seine Verästelungen schlingen sich eng umeinander, eng und enger, umeinander und ineinander, überirdisch und unterirdisch, und der Wind bewegt alles, Blätter sammeln sich in Wirbeln und der novemberkalte Luftzug entfaltet eine Kraft, der sich die taumelnden Kinder staunend ergeben.
Niemand weiss, wo wir sind. Meine Geigenlehrerin wartet auf mich. Aber sie wartet in einer Welt, die ich gerade am Verlassen bin. Ich lasse mich weiter eintauchen. In die Fuchswelt. In die Höhlen, die sich unterhalb der Musikschule verzweigen. Tief unter den bisher bekannten Oberflächen höre ich die Klänge aus den Unterrichtsräumen nur noch von weitem. Da stehen sie, die Kinder, mit ihren teuren Instrumenten, in ihren ordentlichen Kleidern, und versuchen den Erwachsenen zu gefallen, den Lehrern, den Eltern.
Ich verliere mich zwischen den Bäumen und falle wiederholt an den Brustkorb des Fuchses. Dieser Brustkorb ist ein Magnet. Er zeichnet sich unter einem unregelmässig gestrickten Wollpullover ab. Du bist anders als die anderen, sagt der Fuchs zu mir und schüttelt seine blonden Locken. Er zieht mich durch einen Spalt, der sich in einem Gemäuer auftut. Ich halte mich an einem jungen Baum fest und seine Wurzeln geben nach.
Das Theater ruft an, Hauptrolle. Ich organisiere mir eine Flasche verschimmelten Weisswein aus der Vaterkirche. Ich kotze ihn im hohen Bogen über die nächtliche Parkanlage, alles fliesst, Tränen und Mageninhalt versickern im sorgfältig gestutzten Rasen. Ein paar Bröckchen sammeln sich zwischen den Fusskrallen des Fuchses und seiner Neuen, die vorher meine Freundin gewesen war. Ich rase durch die Stadt meiner Kindheit. Ich stehe allein auf dem Schulhof, ich färbe mir die Haare schwarz, ich bemale mich mit Kohle, ich zeichne mit einem Messerchen sorgsam feine Linien in meinen Unterarm wie eine grosse Künstlerin.
Das Erdmännchen
Das Erdmännchen wartet im Foyer des Schauspielhauses. Klein, zierlich, freundlich. Es erblickt eine Frau mit roten Locken. Es nimmt ihre Witterung auf. Seine Augen glänzen neugierig. Schwarze Locken ringeln sich aus seiner Kapuze heraus und zwinkern ihr zu.
Das Erdmännchen folgt der Frau. Es folgt ihr von Theater zu Theater, von Konzertsaal zu Konzertsaal, von Niederlage zu Niederlage. Es ist das liebste Tier, das sich die Frau nur vorstellen kann. Das Erdmännchen beschützt die Frau und die Frau beschützt das Erdmännchen. Das Erdmännchen verwandelt sich in die Frau und die Frau verwandelt sich in das Erdmännchen. Die Welt scheint zart und sanft und hell.
Etwas in der Frau beginnt, zu sinken. Das Gewicht ihres Körpers nimmt zu. Etwas breitet sich aus in ihr, etwas weitet sie, sie lehnt sich an, sie sinkt immer tiefer und wird immer schwerer und immer weicher. Ihre Brüste füllen sich mit Milch und spannen sich schmerzvoll auf und es presst sich in ihr alles nach aussen. Sie zerbirst. Sie schreit. Es kommt fette Milch aus all ihren Poren, das Süsse und das Dunkle toben in ihr. Sie stellt sich unter die Dusche. Ihre Tränen sind lauwarm und singen, wir sind deine Tränen, wir gehören dir, wir schmeicheln dir, wir sind zärtlich, wir passen auf dich auf.
Die Frau schweigt. Sie packt eine Reisetasche. Sie steigt in einen Zug und fährt weit. Sie setzt sich in einen fremden Innenhof an einen fremden Brunnen und sie hört dem Brunnen zu. Der Brunnen gluckert für sie. Der Brunnen wirft ihr kleine, kühle Wasserperlen zu. Die Perlen liegen auf ihrer Haut und das Sonnenlicht kichert in ihrem Inneren. Die Frau atmet. Sie lebt. Sie ist alleine, sie ist leicht. Sie lacht in Richtung des Lichts. Aber das Licht zerbricht. Die Frau fällt.
Es schleichen Möbel um sie herum und ihre Schatten greifen nach ihrem Körper. Irgendwo muss es doch etwas geben, das sich nicht bewegt, denkt sie, etwas, an dem sie sich festhalten kann. Die Möbel schieben sich ihr entgegen und verschieben den Teppich und verschieben die Fotographien ihrer Kinder an den Wänden ihrer Wohnung und die Möbel verschieben sich gegeneinander, verkeilen sich ineinander und geraten über- und untereinander. Die Möbel drücken die Frau gegen den Rand ihres kleinen, eingeengten Herzens. Und die Frau lässt alles stehen und liegen und vergisst ihren Namen.
Der Panther
Der Panther schlägt seine Beine sorgfältig übereinander und leckt sich anmutig über die Tattoos an seinem Unterarm. Er schaut sich um auf dem Schulhof, begutachtet mich interessiert mit dunklen Augen und dreht seine goldenen Ringe. Mit langen Wimpern erzählt er, dass er jetzt hier bleiben wird. Ein bisschen, zumindest, bis der Sommer beginnt. Dann ruft die Wildnis wieder.
Ich wohne in der Schule unterm Dach. Die schrägen Wände geben mir Orientierung wenn ich nicht weiter weiss. Ich lege mich dann in einen schmalen Winkel und denke über den Panther nach. Wochenlang hatte ich ihn nicht bemerkt. Ich hatte nicht bemerkt, wer die Möhren schält und aus dem Fenster schaut, ich hatte nicht bemerkt, wer mein Treppenhaus säubert, ich hatte nicht bemerkt, wer das Licht auf mich richtet, wenn ich bestimme, wie die Bühne beleuchtet werden soll.
Ich mag den Weltraum, raunt der Panther. Es ist Weihnachten. Die Frau hat gesungen wie eine Opernsängerin, aber sie hat sich selbst nicht gehört, weil ihre Gedanken ununterbrochen hinüberflatterten in die andere Ecke des Saals, in die Pantherecke. Seine Lederjacke liegt in der Pantherecke. Sie will lieber an der Lederjacke riechen als Weihnachtslieder singen. Also fragt sie ihn nach seiner Telefonnummer, nachdem er ihr auffordernd ans Schienbein getreten hatte.
Mir fällt jetzt alles herunter. Mein Schlüssel, mein Handy, mein Lippenstift, meine Geige, meine Teetasse, meine Brille, mein Lebensalter. Ohne Brille und ohne Lebensalter verschwimmt die Sicht zusehends.
Ich frage den Panther ob ich mal seine Zigarette ausprobieren darf. Die Praktikanten werfen sich brüllend unter den Tisch, als ich mich wegdrehe, damit keiner sieht wie ich versuche, zu rauchen. Ich schreie die Praktikanten wild an, ihr seid ja wahnsinnig, ich sehe gar nichts mehr, ich huste, ich muss kotzen. Wir finden es lustig dass wir spielen, wir wären die behinderten Kinder die wir betreuen. Ich springe auf die Tischtennisplatte. Ich weiss nicht, wie die Praktikanten heissen, ist mir auch egal, ich will nur an der Lederjacke vom Panther riechen! Die Praktikanten googlen die Nummer des psychiatrischen Notdienstes. Ich liege im Bett und mein Kopf ist so grell ausgeleuchtet, dass mich mein Zustand bei geschlossenen Augen blendet.
Die Frau tigert auf und ab. Sie sieht den Panther bei den Kühen. Sie ist ein Schulkind, sie weiss nicht, dass sie sich in der Schule befindet, in der sie als Lehrerin arbeitet. Ihr Körper fällt die Treppe herunter, steht wieder auf und läuft zum Kuhstall. Die Frau versucht ihren Körper davon abzuhalten, zum Kuhstall zu gehen. Der Körper läuft trotzdem zum Kuhstall und die Frau hinterher.
Zwischen exotischen Pflanzen schweigen die Frau und der Panther lange zusammen. Wie geht es dir, fragt er sie leise. Sacht stupst er sie mit seiner Schwanzspitze an. Sie lehnt sich an ihn und setzt ihm eine kleine grüne Raupe auf die Tatze.
Im Winter fällt die Frau aus einem Postbus in den Schnee. Sie sammelt ihre Sachen zusammen, setzt ihre Brille wieder auf und sucht nach der Gondel, die sie auf den Berg bringen soll. Als das Bänkli, auf dem sie sitzt, sich ruckartig hebt, sacken ihr ihre Eingeweide ins Becken.
Der Panther thront oben, grell beleuchtet, leicht desorientiert. Er hat Lust auf Fleisch. Im Laden wissen die Frau und der Panther nicht, was sie kaufen sollen. Die Frau hat die Kreditkarte ihres Ex-Mannes dabei, bezahlt alles und lässt sich vom Panther in den Wald tragen. Seine Jacke riecht nach Holzfeuer. Der Schnee ist tief. Die Stille liegt nachts zwischen den Bergflanken, und nimmt den Panther und die Frau in sich auf. Die Gondel rauscht leise vorbei wie ein Ufo, die Gondel und die Menschen darin sind aus einer anderen Welt, nicht aus dieser Welt hier, jetzt, der Pantherwelt. Die Pantherwelt ist eine Skihütte mit einem kleinen beschlagenen Fenster, an dessen Scheibe die Frau sich drückt. Sie greift mit beiden Händen in die Wintertomaten, ins Öl, in den Knoblauch, sie greift dem Panther ins Maul, sie füttert ihn. In der Boomboombox singt eine sanft schwingende Bassstimme von der Freiheit in Berlin.
Der Hund
Der Hund sitzt nachts am Fenster und raucht. Wir sind still und atmen. Sie liegt da, völlig verdreht. Plötzlich ist er sehr nah neben ihr und knurrt sie an. Von ihrem Schrei zuckt er zusammen, dort am Fenster. An ihrem Fenster. In ihrem verdrehten Körper. Er, zersplittert, wie er ist, ist jetzt überall. Mit sanfter, zärtlicher Stimme und glitzernden Augen. Mit Blumen, mit kleinen Geschenken, mit Tränen. Mit erloschenen Augen und erhärtetem Körper. Ich komme aus der Unterwelt, flüstert er. Ich habe viele Gesichter.
Wir haben uns über eine App kennengelernt. Er brachte mir eine rote Blume mit, ich habe die Samen noch. Er brachte mir zwei kleine Plastikeinhörner mit. Sie hängen kopfüber an der Lampe über meinem Küchentisch. Zuerst brachte er mir ein Plastikeinhorn auf einem Skateboard mit. Ich wusste nicht, ob ich dir das Einhorn auf dem Skateboard mitbringen soll oder das mit dem Rettungsring, sagte er. Das mit dem Skateboard ist gut, ich brauche keinen Rettungsring, antwortete sie. Am nächsten Tag brachte er ihr trotzdem das Einhorn mit dem Rettungsring mit: Vielleicht brauchst du es doch.
Der Hund schreit laut im Wald. Er lässt eine leere Bierdose in einem Mülleimer verschwinden, die sie nicht sehen soll. Seine Haare sind weich. Ihr Herz wird weich. Er weint. Seine Augen sind weich, Kokain und Alkohol. Er fällt unter die Fahrradständer. Er fragt: Magst du mich trotzdem?
Ihr gemeinsamer Schlaf ist zart und nah. Sie liest ihm ihre Gedichte vor. Er liest ihr feministische Romane vor. Ein grosser Frieden umhüllt die beiden. Nur im Traum tobt die Frau. Sie atmet hastig ein uns aus, saugt alle Luft aus dem gemeinsamen Schlafzimmer und stösst sie kraftvoll zurück in den Raum. Er rückt näher und umschliesst sie tröstend. Sein Angstschweiss vermischt sich in den Laken mit ihrem Menstruationsblut.
Das Wasser glitzert über hellblau gestrichenem Grund. Das Wasser spiegelt die wenigen Sommerwolken, die dem Licht keine Strahlkraft mehr nehmen können. Alles ist hell und leicht und das Wasser umspielt zwei Körper, den des Hundes und den der Frau. Der Hund ist struppig und schön und seine Badehose ist eng, die Frau ist dünn und blass weil sie vom Essen Bauchweh bekommt und es daher lieber sein lässt. Sie purzeln in den Wellen und lecken einander die Tröpfchen von den Augenlidern. Ihr Glück spannt sich auf zwischen einem unterdrückten Schmerz und ihrer wilden Entschlossenheit, das Leben zu feiern.
Berauscht wirft der Hund mit Auberginen, Nektarinen, Tomaten, Ingwer und Chilischoten. Er knallt die Süsskartoffeln in Spalten, achtet sorgsam auf Kochpunkte und jagt seine Sounds duch die Boomboombox. Er zerbricht ein paar Teller und ejakuliert ins Dessert. Ich liebe dich, sagt er. Aber nicht vergessen, das ist vom Ecstasy.
Seine Hand reibt ihre Haut. Die Hand scheint zu einem Körper zu gehören, der gar nicht bewohnt ist. Hier, inhalier` mal! Tief! Sie sucht ihn. Im Maisfeld läuft er. Komm, ich zeig dir was! Du kennst ja nichts, dummes Kind! Du weisst ja gar nicht, wer du bist! Komm! Du kriegst auch ein Zitroneneis.
Er öffnet die Holztür, die in eine raue Mauer eingelassen ist. Der Mondschein fällt in einen künstlichen Garten: Eine Bodenplattenausstellung. Zierpflanzen streichen ihr um die nackten Knie, das Licht ist bläulich, die Nacht ist still. Er zieht sein Hemd aus. Er zieht es wieder an. Sie verliert ihn in der Anlage, sie findet ihn wieder, sie weiss nicht wo sie selbst ist. Er erscheint über ihr, er streckt ihr eine Pfote entgegen. Sie rutscht ab, fällt auf alte Bahngleise, sie steht neben sich, ist da jetzt ein Bach? Sie sitzt irgendwo oben und er steht irgendwo unten. Er winselt. Sie laufen umeinander herum und wissen nicht weiter.
In seinem Unterschlupf spielt der Hund Zombiefilme ab, einen nach dem anderen. Sie fragt sich, ob noch ein Zug nach Hause fährt, aber sie bekommt so grosse Angst vor den Zombies, dass sie sich in sein Bett legt und keinen Mucks mehr macht. Bloss nicht bewegen, ihn auf seinem Trip nicht stören, heiliger Psytrance. Sie liegt in seinem Bett mit einer kalten Pizza, mit ein paar trockenen Hanfblüten, leeren Bierdosen, tausend Kabeln, Kippen, vollgepinkelten PETflaschen, flimmernden Knöpfen, ausgefressenen Näpfen, dröhnenden Bildschirmen, verbrauchtem LSDspray, ungewaschenen Laken, ausgekotztem Pilzhonig, verlorenem Fell, verklebten Fenstern, zerrissenen Kondomen, abgeblättertem Nagellack, selbstgemalten Kinderbildern, unbezahlten Rechnungen, abgespielten Theaterprojekten, explodierten Veloakkus und unaufgebauten Regalen.
Er schreddert ihren Sopran in seinen Tontechniktürmen und sie lachen bis sie ihren Urin nicht mehr halten können. Das fühlt sich nach Freundschaft an, Mann. Zusammen Sachen machen. Das ist doch viel sicherer als Liebe. Schau mir bloss nicht in die verschwommenen Augen, Baby.
Eine Frau mit rot gefärbten Locken, rot bemaltem Mund und traurigen Augen steht hinter einer schweren Schwingtür in einer Kirche. Sie hat sich ein Opernsängerinnenkleid angezogen und soll auf der anderen Seite der Tür singen. Sie hat drei Jahre lang dafür geübt. Die hungrige Gemeinde liegt auf der Lauer und wartet auf das Kind mit dem Kürbis. Sie wollen seine süsse Stimme hören. Die Frau ist bereit für ihren grossen Auftritt. Doch als sie die Tür öffnen möchte, geben ihre Muskeln nach.
Was willst du noch vom Leben, fragt der Hund. Er schlüpft in die Unterhose, die die Frau für ihn gewaschen hat. Die Unterhose sieht aus wie die Unterhose vom Fuchs, der sie mochte, wenn sie schlief. Die Frau weiss noch, dass sie tagsüber versuchte, so zu laufen, dass niemand ihre Schmerzen sah.
Die Frau und der Hund schauen ratlos über die Stadt ihrer Kindheit. Sie liegt im Nebel. Ich habe keine Zeit für eine Beziehung, sagt der Hund. Ich vermisse dich, sagt die Frau. Sind meine Augen rot, fragt der Hund. Ich gehe jetzt, sagt der Hund. Er umarmt sie zärtlich und sein Atem wärmt die Haut an ihrem Hals.
Die Frau schreit. Es kommt eine wilde, heisse Kraft aus ihrem Inneren, ein Feuer, eine Feuersbrunst, eine Energie, die ihre Seele frei fegt. Sie brüllt, sie tobt, sie breitet sich aus. Ihre wilden Haare fliegen im Wind ihrer Wut durcheinander. Ihre grünen Augen glühen. Aus ihrem Bauch heraus tönt ihre volle Stimme und füllt einen weiten Raum um sie herum.
Wer bin ich, ruft die Frau.